Stellungnahme zu Artikel 240 Vertragsrechtliche Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht
Prof. Dr. Udo Reifner
Hamburg, 24. März 2020

I.           Wegfall der Geschäftsgrundlage (§313 BGB)

Die aktuelle Pandemie führt bei Verbrauchern und Kleinunternehmern zu erheblichen Liquiditätsengpässen. Es fehlt Bargeld für die Lebensführung und auf den Konten ist nicht mehr genug Geld um laufende Verbindlichkeiten zu erfüllen. Vollstreckungsmaßnahem auch wenn sie unzulässig können mit den aktuellen Instrumenten nicht aufgehalten werden.

Die Betroffenheit wird unterschiedlich sein, je nachdem, inwieweit durch andere Maßnahmen des Staates und der Sozialpartner oder Versicherungen Einkommensverluste kompensiert und Überbrückungsmaßnahmen angeboten werden sowie die Krise andauert.

Es reicht nicht aus, Schutz in der aktuellen Krise anzubieten, wenn die Folgen der Krise danach von den Verbrauchern getragen werden müssen. Insbesondere muss schon jetzt deutlich sein, dass die Krisenmaßnahmen nicht zu einer zukünftigen Überschuldung führen. Umschuldungen, Prolongationen, Stundungen sind nur vorläufige Maßnahmen, die die Lasten auf die Zukunft verschieben. Hierzu hat das Bürgerliche Gesetzbuch durchaus Möglichkeiten, die die Gerichte auch bisher genutzt haben. So kann man den Gerichten durchaus die Arbeit überlassen, das Ausnutzen der Krise für privaten Gewinn durch Ausbeutung betroffener zu verfolgen. Dazu gehören Wucherzinsen, unendlich gestreckte Darlehen, Mieterhöhungen bei Rückstand etc. (§138 BGB)

Im Übrigen aber sollte die Krise nicht ohne Verdeutlichung eines allgemeinen Prinzips geregelt werden. Dies ist für alle Betroffenen außerhalb des Rechtsstabes wesentlich, um ihr Verhalten entsprechend einzurichten. Der Satz, dass Verträge zu halten sind, kennt durchaus systematische Ausnahmen. Hier gilt §313 BGB, der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Er lautet:

  • 313 Störung der Geschäftsgrundlage

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) 1 Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. 2 An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung oder dem Recht zur angemessenen Erfüllungsverweigerung.

Angesichts der Zurückhaltung der Gerichte, solche Umstände mit so weitreichenden Folgen festzulegen, sollte die Bundesregierung die Möglichkeit haben, dass der

(4) Solche Umstände i.S. des Abs.1 können durch Rechtsverordnung der Bundesregierung für Notsituationen, die vom Bundestag sachlich, zeitlich und örtlich ausreichend bestimmt sind,  festgelegt werden, wenn sie die Bevölkerung insgesamt betreffen und von den einzelnen nicht ausreichend bewältigt werden können.

Dieses Prinzip (clausula rebus sic stantibus) gilt seit Jahrhunderten europaweit und wurde gerade in Italien und Skandinavien auch in bezug auf die Coronakrise als Social Force Majeure zum Recht in Not geratener Schuldner. Darauf könnte sich das COVID-19 Folgengesetz beziehen.

II.        Aktuelle Notmaßnahmen

Der Gesetzentwurf ergreift zu Recht aktuelle Notmaßnahmen, da der Liquiditätseinbruch sofort, die kollektiv und individuell mögliche Kompensation aber in einem Abstand von ca. ein bis zwei Monaten erfolgen wird. Bis Ende der Krise, die bei chinesischen Erfahrungen Ende Juni erwartet werden könnte, ist daher ein Moratorium notwendig.

(1) In dieser Zeit sollte aber der Nachweis des Einkommensverlustes bzw. der Ausgabensteigerung nicht angreifbar sein, um die Massnahmen effektiv zu erhalten.

(2) Unberücksichtigt geblieben sind die Inkassomaßnahmen gegenüber den schwächsten Bürgern. Sie beziehen sich auf abstrakte Forderungen und nicht nach Fälligkeit mehr auf Vertragsverhältnisse. Inkassoinstitute sind dafür bekannt, dass sie in besonderer Weise die Lebensverhältnisse der Schuldner beeinträchtigen. Vollstreckungsmaßnahmen aus fälligen Forderungen, die auf die in Abs.1 genannten Vertragsverhältnisse zurückgehen, müssen daher einbezogen werden.

III.      Langfristige Maßnahmen

(1) Das Gesetz sollte sich deutlich auf alle Forderungen beziehen, die aus den genannten Schuldverhältnissen entstehen. Typisch für die moderne Wirtschaft ist die Verselbständigung von Forderungen von den zugrundeliegenden Vertragsverhältnissen. Insoweit greift der Gesetzentwurf ins Leere. Entsprechend sollte die Formulierung in Art. 240 §1 Abs.1 S.2 lauten:

Das Leistungsverweigerungsrecht besteht in Bezug auf die Forderungen aus wesentlichen Dauerschuldverhältnisse.  Wesentliche Dauerschuldverhältnisse sind solche, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind.

(2) Art. 240 §3 Abs. 3 DGBGB des Entwurfs sollte ein Kriterium nennen, wann eine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner ein Äquivalent darstellt, weil erfahrungsgemäß Verbraucher in der Notsituation alles unterschreiben und dies zu Wucher gerade in den Umschuldungskrediten missbraucht wird. Der Wucher hilft hier aber nicht, weil Verbraucher ja ein gesetzliches Recht damit aufgeben sollen.

Man sollte hier auf die entsprechende Regelung in §305 Abs. 1 Ziff. 4 InsO verweisen, der das Günstigkeitsprinzip festlegt.

(3) Der Entwurf regelt nur bestehende Schulden. In der Krise ist es aber notwendig, dass auch Kredite aufgenommen werden, weil es um Liquidität geht. Dies gilt nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Verbraucher. Das verhindert zurzeit aber §505a Abs.1 S.2 BGB. Es muss möglich sein, Kredite zu vergeben, deren Rückzahlungschancen sich aus der Kreditverwendung bzw. der Linderung der aktuellen Not ergeben. §491 Abs.2 S.2 Ziff. 6 BGB muss daher auch die Kreditvergabe nicht nur begünstigen, sondern auch erlauben. Das sollte klar gestellt werden. Im übrigen müssen Staatsbürgschaften für Neukredite auch für Verbraucher zugänglich sein.

(4) Der zeitliche Rahmensollte sich nicht an den Zeitpunkt der Geltendmachung der Rechte aus diesem Gesetz, sondern sich am Grund der Geltendmachung orientieren und insoweit unbefristet sein. Man kann dies den Gerichten überlassen, angemessene Regeln zu finden. Ansonsten werden die Verbraucher mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert, durch die sie unbedacht handeln und leicht ausbeutbar sind. Überschuldung ist dann die eigentliche Krisenlösung.

Solange in einer Forderung die Gründe aus der Corona Krise fortleben müssen auch die Rechte daraus fortleben und geltend gemacht werden können. (Akzessorietät) Man kann hier Regelungen in Erwägung ziehen, wie sie bei der Befristung des Widerrufsrechts erfolgten.

(5) Es fehlt bisher eine individuelle Information an die Verbraucher über die neuen Rechte durch alle Gläubiger.