#Stop Wucher fordert u.a.: „Die Unternehmen sollen neue flexible Kredit- und Versicherungsprodukte anbieten, die die Liquidität der Verbraucher sichern und Kreditkündigungen vermeiden.“ Diese Forderung spricht eine der Kernaufgaben von Banken an, die Absicherung ihrer Kunden gegen Liquiditätsrisiken.

Warum kann und sollte diese Aufgabe von einer Bank wahrgenommen werden? Weil sie als Intermediär zwischen vielen Einlegern und vielen Kreditnehmern Risiken streuen kann, nicht nur durch Diversifikation zu einem bestehenden Zeitpunkt (sog. intersektorale Risikoteilung), sondern auch durch Glättung über einen längeren Zeitraum hinweg (sog. intertemporale Risikoteilung). Die Fähigkeit eines Verbrauchers, Kredite zu bedienen hängt zum großen Teil von individuell unvorhersehbaren Ereignissen (z.B. Arbeitslosigkeit, Krankheit) ab, die nicht alle Kreditnehmer gleich oder gleichzeitig treffen und damit kollektiv tragfähig sind. Die Bereitstellung langfristiger und flexibler Kredit­beziehungen durch Banken ist deshalb eine volkswirtschaftlich vorteilhafte Versicherungsleistung. Flexibilität bedeutet, dass der Vertrag an Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers angepasst wird, so dass dieser in guten wie in schlechten Zeiten Zugang zu Krediten zu fairen Preisen hat, um produktive Investitionen tätigen zu können (z.B. in einen Wohnortwechsel, um eine neue Arbeit aufzunehmen). Traditionell wurden solche Versicherungs­leistungen von deutschen Banken erbracht, bekannt unter den Begriffen „Hausbankbeziehungen“ oder „Relationship Banking“. In der wissenschaftlichen Literatur wird in dieser Langfristorientierung ein Vorteil des traditionellen deutschen Finanzsystems gegenüber dem kapitalmarktdominierten angelsächsischen Finanzsystem gesehen.

Warum wurde diese beziehungsorientierte Kreditvergabe durch eine kapitalmarkt- oder transaktionsorientierte Kreditvergabe zurückgedrängt?  Die Hauptursache dafür ist eine Welle von Deregulierungen infolge einer neoliberalen Politik, die in den 1970er/80er Jahren in den USA begann und dann auch in Europa übernommen wurde.[1] Grundlage dieser Politik ist die Theorie effizienter Kapitalmärkte. Anstelle von Produktregulierung und Bankenaufsicht wird dabei auf Transparenz  und Diversifikation über den Marktmechanismus (z.B. durch Verbriefung, Derivate) gesetzt. Verbraucherschutz ist nach dieser Theorie nicht nötig, da der Marktmechanismus bei vollkommenen Informationen über die angebotenen Produkte funktioniert. So folgen die aktuellen Finanzdienstleistungsrichtlinien auf EU Ebene (z.B. Verbraucherkreditrichtlinie 2008, Hypothekar­kreditrichtlinie 2014) der Finanzmarktlogik, indem sie sich auf den Verkauf von Finanzdienstleistungen mit vorvertraglichen Informationen und technischer Harmonisierung konzentrieren. Die Pflicht zur Information über die mangelnde Eignung eines Kredits hat das Bestreben nach Eignung ersetzt, womit die Verantwortung auf den Schuldner abgewälzt wird.

Zum Schutz der Kreditnehmer in langfristigen Darlehensverträgen reicht es jedoch nicht, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Informationen bereitzustellen. Das Informationsmarktmodell des ‚mündigen Verbrauchers‘ hilft denen nicht, denen selbst perfekte Finanzkenntnisse zur Einschätzung der Risiken nicht nützen würden, weil ihre Handlungsalternativen willkürlich begrenzt werden. Für eine verantwortliche Kreditvergabe sind Pflichten wie Zugang, nichtdiskriminierende Preise, Anpassung des Vertrags an Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse und Kontinuität zu regulieren. Wichtig bei der Flexibilisierung ist vor allem, dass diese nicht zu Zusatzkosten erfolgt, die das Überschuldungsrisiko erhöhen. Solche Kosten sind bei einer guten Versicherung einer Gruppe auf der Grundlage von Statistiken über die Liquiditätsschwankungen der Haushalte nicht gerechtfertigt. Eine bessere Risikoteilung senkt das Gruppenrisiko. Was die Banken für sich durch Verbriefung an Risikoteilung gewinnen können, können sie auch für ihre Kunden durch eine bessere Versicherung innerhalb einer Kundengruppe erreichen.

Die EU Hypothekarkreditrichtlinie 2014 geht in die richtige Richtung, indem sie eine umfassendere Regelung des Grundsatzes der verantwortlichen Kreditvergabe fordert, die nicht auf die Kreditwürdigkeitsprüfung beschränkt werden sollte. Sie erwähnt die Möglichkeit des Schutzes vor vorzeitiger Beendigung und fordert die Banken auf, von Vollstreckungsverfahren abzusehen, wenn ein ausgefallenes Kreditverhältnis noch repariert werden könnte. Auch veränderte Bedürfnisse und Umstände müssen durch Anpassung berücksichtigt werden. Diese Forderungen sind jedoch in der aktuellen Umsetzung noch nicht durch gesetzliche Regulierungen verwirklicht worden. Es ist Aufgabe der nationalen Gesetzgeber, sie in die Tat umzusetzen.

Die neuen Techniken des transaktionsorientierten Banking (Credit Scoring, Kreditverbriefung, Fintechs, etc.) bieten Effizienzvorteile, die zu weniger Intermediation führen. Es geht darum, diese zu nutzen, aber durch neue Regeln das wiederzugewinnen, was man mit dem Rückgang der beziehungsorientierten Intermediation verloren hat: Finanzdienstleistungen müssen (wieder) an die Realwirtschaft gebunden und eine verantwortliche Kreditvergabe mit intertemporaler Risikoteilung ermöglicht werden. Die Stop Wucher Kampagne ist dafür wichtig.

[1] Vgl. https://www.finanzwende.de/blog/bankenregulierung-auf-dem-falschen-dampfer/#_ftn1

Doris Neuberger, 5. Dezember 2018